Ausschnitt aus: Stein und Zeit



Beim Dresdner Kirchentag 2011 stellte ein Forum die Frage Apostolisches Glaubensbekenntnis: Schatz oder Ballast? Zunächst begründete Christian Nürnberger in einem „Impulsreferat“, warum er am Ende seines Theologiestudiums beschlossen habe, nicht Pfarrer zu werden. Die dem Apostolicum entsprechenden religiösen Überzeugungen seiner Kindheit waren ihm schlicht im Laufe seines Studiums abhanden gekommen. Diese Entscheidung – man mag sie bedauern – war immerhin ehrlich.  Überhaupt ist die Position Nürnbergers, der in seinen neusten Büchern nicht müde wird, einem sehr weit von der Kirche weggerückten Lesepublikum die Stärken des christlichen Weltverständnisses plausibel zu machen, eine sympathische Variante des modernen Agnostizismus – allemal sympathischer als das, was der zweite Impulsgeber zum Besten gab. Dr. Herbert Koch ging es nämlich im Studium nicht anders – bloß dass er sich dafür entschied, nichtsdestotrotz eine Stelle als kirchlicher Beamter anzunehmen. Seine Laufbahn beschloss er als Superintendent in Garbsen. Jetzt, wo er pensioniert ist, sucht er den Schulterschluss mit Nürnberger und plädiert dafür, das Apostolicum, vor allem seinen zweiten Glaubensartikel, zu „modernisieren“, um Verkündern des Evangeliums wie ihm die inneren Skrupel beim sonntäglichen Aufsagen des Glaubensbekenntnisses zu nehmen. Der Zweifel, dem er den breitesten Raum gab, war der an der Jungfrauengeburt. Wie weit er auch andere Positionen bezüglich Jesu Christi räumen wollte, wagte er selbst aus der sicheren Position des Pensionärs heraus nicht zu konkretisieren und blieb deshalb lieber allgemein. 

Da der Kirchentag eine moderne Einrichtung ist, wurde das Publikum anschließend gebeten, sich in kleinen Gruppen um Tische herum einzufinden, auf denen schon Knabberzeug bereitstand, um über Fragen zu diskutieren, die unsere Moderatorin vorgab. Diese Methode nennt sich world café, entsprach aber eher einem café allemand, denn die Positionen, die an den Tischen ausgetauscht wurden, passen weniger zu dem, was die Christenheit in Europas Osten, Asien, Afrika oder Amerika bewegt, sondern eher zu denen deutscher Theologen, die seit Lessings Zeiten die Glaubenslehre von allem „Ballast“ befreien wollen, den die menschliche Vernunft nicht begreift.

Immerhin hat diese Methode den großen Vorteil, dass man in 3 mal 15 Minuten – zweimal wurden wir angehalten, den Tisch zu wechseln – sehr viele verschiedene Positionen zu hören bekommt. Von den ca. 20 Disputanten meiner drei Caférunden sprachen sich nur drei, nämlich eine Theologiestudentin und zwei ältere Damen aus Württemberg, dafür aus, nicht gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten. Alle anderen – darunter auch einige aus diversen deutschen Landen angereiste Pfarrer, teilten mehr oder weniger das Modernisierungsbedürfnis Kochs und sähen es gerne, wenn vor allem der zweite Glaubenartikel heutigem „Wissen“ und „Denken“ angepasst würde. Meinem stereotyp an allen drei Tischen vorgebrachten Einwand, dass man ja wohl schwerlich auf die Sätze über Tod und Auferstehung Christi verzichten könne, ohne der Kirche das Fundament zu entziehen, so dass sich spätestens hier jede Modernisierung verbiete, durfte ich immerhin vortragen. Aber den Mienen der freundlichen Cafébesucher konnte ich unschwer entnehmen, dass die meisten nicht hierhergekommen waren, um sich der Kernbestandteile des christlichen Glaubens zu versichern.  

Natürlich sind die Besucher dieses „Weltcafés“ nicht repräsentativ für den Kirchentag, dessen Intention ja gerade darin besteht, das Kirchenvolk in seiner ganzen Vielfalt anzusprechen. Was hätten wohl die Teilnehmer der Veranstaltung, in der es um das Herzensgebet ging, über Herrn Dr. Kochs Impuls für ein Urteil gefällt? Und auch die vielen, die mit großer Inbrunst gesungen oder in ihre Posaunen geblasen haben, gehören vermutlich eher einem anderen Segment der Kirche an. Dennoch berührt schon die von der Kirchentagsleitung offensichtlich nicht monierte Auswahl der Referenten, die im Saal Hamburg auf der Dresdner Messe sich der Mikrofone bedienen durften, unangenehm. Wieso, fragte gegen Ende der Veranstaltung ein Teilnehmer dann doch kritisch, habe man nicht einen Referenten bestellt, der das Apostolicum als einen „Schatz“ ansehe, den es zu verteidigen gelte? Hieß es doch im Titel der Veranstaltung  „Schatz oder Ballast“.