Vier große Rätsel der Zeit


(Mit Verweisen auf die Denker, die das jeweilige Rätsel thematisieren)



1. Zeit kann man nicht objektivieren. Damit entzieht sie sich den empirischen Wissenschaften - die jedoch ohne den Zeitbegriff nicht auskommen.

Da wir uns nicht außerhalb der Zeit befinden, können wir zu ihr keine wissenschaftliche Distanz aufbauen. Immer schon ist die Zeit an dem beteiligt, was wir untersuchen und was wir uns vorstellen...  (Kant)


2. Wieso gibt es die Wirklichkeit, wenn doch alles, was bisher geschah, vergangen ist - und damit nichts -, alles, was in der Zukunft passieren wird, noch nicht existiert, also auch nichts ist, und das Jetzt ein ausdehnungsloser Punkt ist? Wieso gibt es also überhaupt etwas?  (Augustinus)


3. Wie lässt sich im vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum ein Punkt, die Gegenwart, auszeichnen? Wer oder was inauguriert diesen Akt? Es gibt kein physikalisches Verfahren, das die Bevorzugung des „Jetzt“, die wir ständig erleben, begründen könnte. Das Jetzt scheint kein physikalisches Phänomen zu sein. Aber es ist ohne Zweifel wirklich - ja: nichts ist wirklicher als das Jetzt!

(Wer diesen Gedanken bevorzugt hatte, ist mir nicht bekannt)


4. (Das anspruchsvollste Rätsel, das man sich langsam erarbeiten muss – es lohnt sich!):

Bei jedem mentalen Ereignis sprengen wir den Rahmen des Nacheinander, auf dem die gesamte neuzeitliche Wissenschaft basiert, auf. Jedes Erleben „dauert“ länger als der Moment, in dem es stattfindet, dem es auf Newtons Zeitstrahl zugeordnet wird. Wie geht das?

Wie löst die Theorie der ausgedehnten Gegenwart das Paradoxon, dass dann ja in der linearen Zeit im Jetztpunkt das enthalten sein müsste, was vor (und evtl. sogar nach) diesem Jetztpunkt liegt – dass er damit also seine Punkteigenschaft verlöre?  (Husserl)


© Gottfried Böhme